Prof. Dr. Volker Thieler, hat die wesentlichen Punkte des neuen Gesetzestextes herausgearbeitet und
diese Stellungnahmen hierzu veröffentlicht.
I. Gute Lösung?
Das neue Gesetz ist eine gute Lösung der Betreuungsproblematik, weil endlich der
Gesetzestext in eine Form gegossen wurde. Es müssen nicht mehr in verschiedenen Gesetzen
die einschlägigen Bestimmungen zum Betreuungsrecht gesucht werden, sondern sie sind
nunmehr in einem Gesetzeswerk. Dies ist auch für den Laien und Verbraucher ein erheblicher
Vorteil, weil dieser bisher kaum alle Bestimmungen zum Betreuungsrecht finden konnte,
wenn er nicht intime Kenntnisse zu den verschiedenen Nebengesetze gehabt hatte.
Zu bemängeln ist, dass der Gesetzestext so umständlich für einen Laien und insbesondere für
die Betreuten und Angehörigen formuliert dargestellt wurde, dass er kaum verständlich ist.
Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber auch eine vereinfachte Form verfasst, auf die wir
nochmal hinweisen.
II. Selbstbestimmungsrecht
Sehr gut ist im neuen Gesetz die stärkere Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des zu
Betreuenden, die sich gerade in den Voraussetzungen zur Bestellung eines Betreuers und bei
den Aufgaben und Pflichten des Betreuers im Verhältnis zum Betreuten und zu dessen
Befugnis im Außenverhältnis widerspiegelt. Entscheidend soll künftig hin nicht nur die
gesundheitliche Situation des zu Betreuenden, sondern seine Wünsche und sein
Betreuungsbedarf sein. Deshalb ist im Gesetz auch geregelt, dass der Wunsch des Betreuten
für das Betreuerhandeln künftig hin orientierungsmaßstab für die Betreuer ist. Dadurch
wurden die Vorgaben von Art. 12 UN-Behindertenrechtskonvention klarer im neuen
Betreuungsrecht verankert. Es ist deshalb besonders hervorzuheben, dass die Unterstützung
der betroffenen Person zur Ausübung ihrer rechtlichen Handlungsfähigkeit durch eigenes
selbstbestimmtes Handeln Hauptaufgabe des Betreuers künftig ist.
III. Vorsorgevollmacht
Bezüglich der Vorsorgevollmacht ist eine gute Neuerung eingeführt worden. Bisher erlebten
wir in der Praxis, dass bei Beschwerden über die Ausübung der Vorsorgevollmacht sofort
Kontrollbetreuer eingesetzt wurden und diese meistens die Vorsorgevollmacht widerrufen
haben. Dies führte zu einer untragbaren Situation, weil die einmal widerrufene
Vorsorgevollmacht nicht mehr auflebt. Hat also ein Gericht entschieden, dass die Vollmacht
widerrufen wird, so erhält der Vollmachtgeber, der niemals eine Betreuung wollte, eine
Betreuung. Nunmehr kann die Vorsorgevollmacht für einige Zeit außer Kraft gesetzt werden.
Diese Situation ist möglich, wenn das Gericht den Vollmachtnehmer auffordert, die
Vollmachtsausübung ruhen zu lassen bis eine Klärung der Probleme, die ihm vorgeworfen
werden, erfolgt ist.
IV. Berichtspflicht
Gut ist sicherlich auch, dass der Betreuer innerhalb der ersten drei Monate, über die die
Situation des Betreuten dem Betreuungsgericht Bericht erstatten muss. Voraussetzung der
Berichterstattung ist, dass er mit dem Betreuten gesprochen hat. In der Praxis sind viele Fälle
bekannt geworden, bei denen die Betreuer erst Monate nach der Betreuungsanordnung sich
gemeldet haben. Die im neuen Gesetz gewünschte stärkere Kontaktpflicht und im Gesetz
genannte Berichtspflicht könnte, falls sie in der Praxis durchgesetzt wird, ein Vorteil sein.
Allerdings gibt es wieder einen Ausweg, der vielleicht alle guten Vorhaben vernichtetet, weil
die Besprechungspflicht nur gegeben ist, wenn diese für den Betreuer zumutbar ist.
V. Betreuungsorganisationsgesetz
Es wurde ein eigenes Betreuungsorganisationsgesetz geschaffen, dass zahlreiche neue
Aufgaben für die Betreuungsbehörden erfasst, aber auch neue personelle und finanzielle
Verpflichtung enthält. Bedenken bestehen, ob die entsprechenden Geldmittel bereitgestellt
werden.
VI. Versäumnisse des Gesetzgebers
Im neuen Betreuungsgesetz fehlen die von Seitens des Forschungsinstituts immer wieder
bemängelten Probleme des Betreuungsrechts, die nicht gelöst wurden.
- Fehlende ordentliche Finanzierung der Betreuer:
Es ist bekannt, dass es hervorragende und gute Betreuer gibt, die einen Teil ihrer Zeit
dafür verwenden, letztendlich kostenlos für die Betreuten zu arbeiten und nicht dafür
bezahlt werden. Der Gesetzgeber hatte aus Ersparnisgründen und auf Kosten der
Betreuten das Pauschalsystem zur Bezahlung der Betreuer eingeführt. Im Klartext
bedeutet dies, die Betreuer erhalten immer nur eine jährliche Pauschale pro
Betreuungsfall. Fällt in einem Betreuungsfall mehr Arbeit an, dann muss der Betreuer
letztendlich in den anderen Fällen, bei denen weniger Arbeit anfällt, die Geldmittel
geistig in diesen Fall verlagern. Er bekommt für Mehrarbeit immer nur die jährliche
Pauschale und wird nicht für seine Mehr-Leistung bezahlt. Prof. Dr. Volker Thieler sieht dieses Bezahlsystem als Hauptgrund für die Beschwerden an, die täglich an das Forschungsinstitut kommen.
- Die Situation bei Immobilienräumungen wurde nicht geregelt. Insbesondere in den
letzten Jahren und Monaten hat die Stiftung sehr viele Beschwerden erhalten über den
Tatbestand, dass bei Wohnungsräumungen die Angehörigen und Verwandten nicht von
der Räumung und von dem Wegwerfen von wichtigen Urkunden, Familienunterlagen,
alter Erinnerungsstücke, die an Kindheit erinnern usw. informiert werden. Diese
Gegenstände werden meistens vom Betreuer einer Entsorgungsfirma übergeben. Hier
wird gesetzlich genehmigte Vernichtung von Familiengeschichte vorgenommen. - Veräußerung von Immobilienvermögen:
Auch in diesem Bereich hat die Stiftung immer wieder Beschwerden von Angehörigen
erhalten. Familienangehörige wollten Familienanwesen, die vielleicht die Großeltern
oder Eltern in jahrzehntelanger Arbeit erbaut haben, selbst kaufen. Sie haben teilweise
sogar den fast doppelten Preis angeboten. Die Betreuer haben dann – in den uns
bekannten Einzelfällen – das Familienvermögen über irgendwelche Immobilienmakler
oder sonstige Kanäle weiterverkauft. Ein Fall ist der Stiftung bekannt, bei dem die
Angehörigen sogar fast das doppelte als Kaufpreis angeboten haben und das Haus nicht
bekam. Es fehlt ein Vorkaufsrecht für Angehörige oder eine bessere Verpflichtung,
derartige Immobilien öffentlich versteigern zu lassen, damit nicht der Verdacht von
irgendwelchen nicht nachvollziehbaren Handlungen bei der Veräußerungen entsteht. - Informations- und Nachweispflicht gegenüber Betreuten:
Immer wieder beschweren sich Betreute, dass sie nicht wissen, wie hoch ihre
Kontostände sind, was der Betreuer überhaupt für sie veranlasst hat. Die Berichtspflicht
wird da eventuell eine Lösung bringen, weil der Betreuer auch verpflichtet ist, den
Inhalt des Berichts, den er an das Gericht geben muss, mit dem Betreuten zu
besprechen. Ob dies in der Praxis durchgeführt wird, ist fraglich. Es hätte eine
Verpflichtung zur Übergabe von Kontounterlagen an die Betreuten getroffen werden
müssen. Diese Regelung würde auch eventuelle Straftaten von Betreuern verhindern, - Ehegattenvertretung:
Im neuen Gesetz gibt es einen § 1358 Ehegattenvertretung-Regel.
Die Textfassung ist komplizier. Sie verwirrt nicht nur die damit befassten Juristen,
sondern, insbesondere die künftig hin die Vertretungsbefugnis ausstellenden Ärzte und
Klinikmitarbeiter und Betreute, Angehörige, also insbesondere die Betroffenen durch
das Betreuungsrecht. Es ist nicht deutlich klar, dass die Ehegattenvertretungsklausel nur
für den im Gesetz vorgesehenen Notfall, also für den gesundheitlichen Zustand einer
Bewusstlosigkeit oder Krankheit gilt. Im Klartext ist immer der Fall gemeint, der
meistens dann eintritt, wenn ein dringendes sofortiges Handeln notwendig ist,
verursacht durch Krankheit, Unfall oder Alter, beispielsweise Demenz. Es ist also keine
dauernde Stellvertretung gemeint. Es muss zu dieser neuen Bestimmung klargestellt
werden, dass das Ehegattenvertretungsrecht nicht die Vorsorgevollmacht ersetzt.
Es sind im neuen Gesetzestext, den ich hier beifüge, Hürden für den Ehepartner und den
Arzt und Klinikpersonal aufgebaut, von denen ich ausgehe, dass diese nicht eingehalten
werden können. So gilt die neue gesetzliche Regelung nicht, wenn die Ehegatten
getrennt leben. Wie soll ein Ehegatte wissen, dass die Regelung aber gilt, wenn
beispielsweise der Ehegatte im Altersheim und der andere Ehegatte daheim lebt, dann
meint der Gesetzgeber, dass auch dann kein „getrennt leben“ vorliegt.
Was geschieht, wenn Ehepartner mit verschiedenen Namen beim Arzt auftreten? Hat
der Arzt dann gleich die Vermutung, dass sie getrennt leben? Der Arzt muss sich hier
genau erkundigen, weil er später die Stellvertretung bescheinigen muss.
Die Stellvertretung gilt nicht, wenn der Ehepartner dies nicht wollte. Der Arzt muss also
den Ehepartner fragen, ob der Ehepartner, der jetzt in der Notsituation ist, auch dies
wirklich wollte. Er darf bei Informationen Dritter über den Ausschlusswunsch, die
vielleicht aus anderen Beweggründen die Stellvertretung von den Ehepartnern nicht
wollen, die Bestätigung nicht ausstellen.
Er muss auch den Ehepartner fragen, ob dieser schon einmal die Erklärung ausgestellt
hat. Es kommt allerdings nicht auf eine Prüfungspflicht an, sondern der Arzt hat eine
Nachfragepflicht.
Der Arzt muss nach der neuen gesetzlichen Regelung im Register der
Bundesnotarkammer nachsehen lassen, ob der Ehegatte vielleicht die Stellvertretung
durch den Ehepartner untersagt hat. In der Notsituation, in der auch ein Arzt sich bei
schwierigen Medizinfällen befindet, muss er oder ein von ihm beauftragter Dritter bei
dem Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer anrufen, ob der Ehegatte einen
Ausschluss für die Ehegattenvertretung eintragen ließ.
In der Bestätigung, die der Arzt ausstellt, muss dann noch der Zeitraum bestätigen, ab
wann der Notfall eingetreten ist.
Ab wann gilt die Bescheinigung, wenn der Ehepartner in der Stresssituation sich gar
nicht äußern kann. Der Gesetzgeber geht dann davon aus, dass der Arzt einfach den
Zeitpunkt annimmt, bei dem der kranke Ehepartner in das Krankenhaus kam.
Um das Ganze noch schwieriger und noch unglaublicher zu machen, muss der
Ehepartner, der die Bestätigung haben will, auch noch versichern, dass er nicht schon
irgendwo eine Vertretungsvollmacht ausstellen ließ.